Dr. Barbara Hausmanns

 

DUALE II „Vernetzungen“

Dr. Barbara Hausmanns, Einführungsrede am 16.9.2007
Galerie MultiArt / artpromotion, Bonn

„Landart – Chaos im Maisfeld “ betitelte unlängst das Art-Magazin ironisch eine Fotografie, die ein von einem wild umherfahrenden Auto zerstörtes Maisfeld zeigte. Ein kokainbedröhnter Niederländer hatte auf der Flucht vor der Polizei unfreiwillig waghalsige Kurven und Kreisel in die ordentlichen Getreidereihen geschlagen. Für die Malerin Hilli Hassemer war dieses Foto wie ein Dèja Vue – hatte sie doch erst kurz zuvor ein Bild gemalt, dessen Strukturen auf fast beunruhigende Weise den Spuren im Kornfeld ähnelten. Folgerichtig nannte sie diese Arbeit „Vorausahnung einer Chaosfahrt im Maisfeld“.

Doch ganz im Gegensatz zu dem Holländer und dessen eher unfreiwilliger Kreativität braucht Hilli Hassemer keine fragwürdigen Stimulanzien, um ihre Vorstellungen von Chaos und Ordnung auf die Leinwand zu bringen. Wer sie in ihrem Atelier erlebt, dem begegnet eine überaus frische, unverstellte, konzentrierte, höchst lebendige und kreative Künstlerin. Es scheint fast so, als ob sie gerade erst gestern mit der Malerei begonnen hätte.

Das hat sie natürlich nicht. Die 40-jährige hat an der Ecole des Beaux Arts in Nímes studiert und diese mit Diplom abgeschlossen. Weitere Stationen ihrer Lehrjahre waren Assistenzen bei dem berühmten Malerkollegen Sigmar Polke, Museumsmitarbeiten und ein Studium an der Kunstakademie Düsseldorf. Nach Jahren der Atelierarbeit in der Landeshauptstadt lebt und malt Hilli Hassemer seit geraumer Zeit in Mülheim an der Ruhr in einem historischen Zechenhaus.

Anlässlich der zweiten DUALE hier in der Bonner Südstadt zeigt die Malerin eine Art Werkschau aus den letzten drei Jahren. Die künstlerische Qualität ihrer Bilder und die Vielfalt ihrer Themen machen es Hilli Hassemer leicht, den Anforderungen einer Galeriehängung ebenso gerecht zu werden wie den Bedingungen von Kunst im privaten Umfeld. Linde Trottenberg von der Galerie MultiArt und Claudia Pfefferkorn-Schreiber von artpromotion Bonn ist es erneut zu danken, dass wir heute beides verbunden mit einem kurzen, sonnig-herbstlichen Schlendern durch die Südstadt erleben dürfen.

„Vom Fleck weg…“ nennt Hilli Hassemer eine ihrer großformatigen Arbeiten, die uns alle in die Welt der Täuschungen führen. Was – nicht ganz ernst gemeint – wie dicke Flecken auf einem Küchenhandtuch aussieht – fordert unsere Wahrnehmung heraus. Auf braunem, grünen oder rosafarbenem mit Acryl aufgetragenem Leinwandgrund hat die Malerin mit dem Lineal und Lackstift helle, gitterartige Linien gezogen. Die farbigen Freiflächen sind durch bewusste Unterbrechungen der Linien entstanden. Bei kleineren Bildformaten arbeitet die Künstlerin übrigens frei mit den Lackstiften.

Und so bilden sich Formen durch Weglassen; das Grafisch-Strenge und Kontrollierte ermöglicht erst das Unbewusst-Chaotische.

Bei allen zeichnerischen Anteilen sieht sich Hilli Hassemer immer als Malerin, stellt sich der sinnlichen und leidenschaftlichen Qualität von Kunst.

Zudem ist ihr die Ausdeutung des Bildraumes besonders wichtig:

„Das Nichts braucht Begrenzung“ sagt Hilli Hassemer denn lächelnd und schickt uns auf die Reise in unbekannte Bildräume und Tiefen. Wer mag, kann den Vordergrund eines Gemäldes suchen und wird je nachdem, wo er steht, auf den Hintergrund treffen. Oder war es umgekehrt? Die Künstlerin hat Spaß an diesem Verwirrspiel und formuliert damit zugleich meisterhaft ein uraltes Thema der Malerei: die Gestaltung des dreidimensionalen Raumes auf der zweidimensionalen Leinwand.

Nicht von ungefähr zählt Sigmar Polke, den sie ja auch bei der Arbeit kennen lernen konnte, zu den künstlerischen Vorbildern Hilli Hassemers. In Polkes Bildern ist nur wenig so, wie es scheint. Zudem zeichnet den zur Zeit zu den teuersten deutschen Malern zählenden Künstler eine hohe Experimentierfreude im Umgang mit Materialien aus.

Auch Hilli Hassemer mischt gerne, was die Tube hergibt. So verbindet sie Klarlacke mit Pigmenten und fordert sich bei der Arbeit mit diesem Malstoff förmlich selbst heraus. Die, die immer gerne die Kontrolle bewahrt, setzt sich bei dem Auftragen der zähen Lackfarben dem Nicht-Steuerbaren, auch dem Zufälligem aus. Dabei entstehen wunderbare Arbeiten wie „The small in me“ mit schimmernden, reflektierenden Oberflächen. Zugleich gewährt uns die Künstlerin Blicke wie durchs Mikroskop, lässt uns einen Minikosmos sehen und meint damit zugleich den großen, den ganzen Daseinsentwurf.

Mit ihren Bildern war die Künstlerin schon in vielen Ausstellungen vertreten und hat sich in der wichtigen und vielfältigen Kunstlandschaft Nordrhein-Westfalens längst einen Namen gemacht. So auch mit ihren Rinnbildern, von denen einige heute in der privaten Hängung bei Familie Pfefferkorn-Schreiber zu sehen sind. Wie geflossene Netze breiten sich die Strukturen über dem Bildgrund aus und bilden in der völligen Ungegenständlichkeit – dem Fließverhalten der Farbe geschuldet – vermeintlich Wiedererkennbares. Wir sehen Zellstrukturen, U-Bahnnetze oder auch Grundrisse von Stadtarchitekturen. Damit erfindet unser Gehirn, weil es nicht anders kann, die Bildthemen, die Hilli Hassemer dem „kalkulierten Zufall“ abgerungen hat. Die Künstlerin trägt nämlich am Bildrand die Farben auf und erreicht durch ruckartiges Drehen des Gemäldes ein zumindest durch diesen Impuls kontrolliertes Fließen der Farbe. Heraus kommen dabei netzartige Strukturen, die nicht mit dem Pinsel gemalt, sondern (ver)- ronnen sind.

Hilli Hassemer variiert ihre einmal gefundenen Bildthemen vielfach und sieht dies durchaus nicht als die eigene Unfähigkeit Neues zu erfinden. Im Gegenteil: für sie bringt gerade die „Wiederholung“, die Variation des Gewohnten, die Veränderung, das Neue in kleinen Schritten. Ursprünglich nämlich kommt die Künstlerin einmal aus der figürlichen Malerei und fühlt sich heute mit immer reduzierteren Bildern wohl. So sind beispielsweise aus einer seriellen Anordnung von Köpfen zuerst gesichtslose Ovale und am Ende wie an einer Perlschnur aufgereihte, kreisartige Leerstellen geworden.

Und schließlich macht ihr die Vieldeutigkeit ihrer Gemälde viel Freude. Sie will die Korrespondenz mit dem Betrachter, sein Rätseln vor den Bildern auf der optischen Suche nach Zellstrukturen, Rohrschachttests und genetischen Codes. Dazu gehört auch Hilli Hassemers Wortwitz, der sich – wie Sie sicher schon bemerkt haben – in ihren Titeln niederschlägt. An dieser Stelle blitzt dann immer wieder auch die studierte Germanistin auf.

Und so mag man sich dann auch gerne „Die Ansammlung auserlesener Redepausen“, eine wunderbare, große Arbeit in Hellgrün, in einem Konferenzraum  vorstellen. Und hoffen, dass sich die wohltuende ruhige Kraft dieses Bildes auf die Menschen in dem Raum auswirken wird.

Die Auseinandersetzung mit Kunst kann mühsam sein wie Sigmar Polke mit dem sinngemäß zitierten Satz „Denn ein Bild an sich ist ja schon eine Zumutung“ fast ketzerisch meinte. Hoffen wir, dass die Malerin Hilli Hassemer uns noch ganz viel zumuten wird.

Ich danke Ihnen.

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